Samstag, 18. Juli 2015

Die Beschwörung

1. Rahja 1015 BF

Als wir erwachen, scheint es schon später Vormittag zu sein und wir machen uns, immer noch stark geschwächt, weiter auf den Weg. Wir kommen auf eine kleine Hügelkette und sehen den Grund der nächtlichen Geräusche. In einiger Entfernung sehen wir vor uns ein Lager. Sicher an die hundert Menschen mit Planwagen und Ochsenkarren auf denen all ihr Hab und Gut zu liegen scheint, machen sich gerade zum Aufbruch fertig. Als wir näher kommen stellen sich zwei alte Greise mit Forken uns entgegen. Die Menschen sammeln sich sogleich hinter den beiden und wir erkennen, dass blankes Entsetzen ihre Gesichter gezeichnet hat. Keinerlei Kinder sind zu sehen, nur alte und vergreiste Bauern stehen uns gegenüber. Wir entdecken krabbelnde Männer und Frauen, die noch nicht einmal sprechen können. Erschrocken nehme ich das schreckliche Bildnis in mir auf und höre zu was Kaldrim und Ragnar mit den Dörflern besprechen. Wir erfahren, dass die Menschen auf der Flucht aus Dragenfeld sind. Sie seien verflucht, weil sie eine Tsa-Geweihte verbrannt haben. Es habe vor einigen Wochen begonnen. Erst waren sie ihr dankbar, da nach den Gebeten der Geweihten die Feldfrüchte besonders gut ausfielen. Kartoffeln waren größer als je zuvor, und auch sonst wuchs alles schneller. Doch dann begannen schrecklichere Ereignisse. Kinder wurden missgebildet geboren, alle alterten schneller und die Dorfbewohner erinnerten sich an die Gebete der Geweihten in einer fremden Sprache. Als alles noch schlimmer wurde, verbrannten sie sie als Hexe. Doch statt einer Besserung seien sie nun verflucht und alles altert weiter in einer unnatürlichen Geschwindigkeit. Sie erzählen uns noch von einem Magier, mit dem sich die Tsa-Geweihte mehrmals getroffen hat. Angeblich hat dieser sich im Wehrturm niedergelassen, doch hätte man ihn selten gesehen. Das Dorf sei zerstört und wir sollten uns ebenfalls nicht dorthin begeben. Wir einigen uns mit den Dragenfeldern, dass sie Delian von Wiedenbrück und Mutter Linai mit zurück nach Westen nehmen und gehen trotz aller Warnungen zu dritt weiter. Wir merken wie die Zeit auch an uns zieht je näher wir dem Ort kommen. Der Erdboden ist nur noch grauer Sand und unsere Haare und Nägel wachsen stets. Trotz des neuen Verbands eitert meine Wunde weiter und schmerzt. Wir haben jegliches Zeitgefühl verloren. Unsere Kleidung verschleißt immer mehr, unser letzter Proviant ist geschmacklos und grau, unsere Haut wird pergamentartig und fleckig, und unsere Gelenke fangen an zu schmerzen. Nur dem Zwerg scheint die Zeit nicht viel anzuhaben. Trotzdem schleppen wir uns weiter.

Wir erreichen wieder einen Hügel und schauen in ein trostloses zerfallenes Tal hinab. Ruinen von Häusern, geborstene Tore, ein völlig zerstörtes Dorf als wäre Jahrzehnte keiner mehr hier gewesen. Ein schwarzer Scheiterhaufen ist in der Dorfmitte zu erkennen und noch etwas fällt uns ins Auge. Ein leuchtend bunter Tsa-Tempel, scheinbar von der ganzen Sache unberührt, reckt sich aus den Ruinen hervor und erscheint mir wie eine Insel voll Leben. DAS ist der Ort an dem wir Schutz finden werden! Kaldrim und Ragnar stützen mich mittig und wir stürmen schon fast in Richtung Tempel. Als wir im Inneren des Tempels ankommen, spüren wir, wie das Ziehen der Zeit schlagartig von uns abfällt. Ich fall auf die Knie und bete innig zu Tsa und danke ihr für ihren Schutz. Es ist als würde von uns eine große Last abfallen. Manche der buntbemalten Fenster sind mit Steinen eingeworfen, doch das Gebäude ist nicht geschändet, sondern noch in der Hand der Göttin.

Während ich noch bete, schauen sich die Männer um und kurze Zeit später führt Kaldrim mich zu einem weichen sauberen Bett. Ich falle sogleich wieder in fiebrigen Schlaf. Ragnar weckt mich irgendwann und bringt mir eine Gemüsesuppe. Er kümmert sich nochmals um meine Wunde und flößt mir eine klare Flüssigkeit ein. Ich sinke wieder zurück in die Kissen, doch fühle ich mich schon um einiges besser. Ich erwache von einem lauten Krachen außerhalb des Gebäudes. Ich erinnere mich wo ich bin und höre die Stimmen von Ragnar und Kaldrim und auch Ardo scheint mittlerweile angekommen zu sein. Das Krachen war das Zusammenstürzen weiterer Gebäude des Dorfes. Durch die Fenster sehen wir den verdunkelten sternlosen Himmel und immer wieder hören wir das Zerbersten von Holz. Etwas Schreckliches zieht herauf. Ich bekomme mit, dass Kaldrim die letzten Überreste der Geweihten geborgen hat und Ragnar hat ein Tagebuch der Geweihten gefunden. Ardo lässt mich holen und als ich aufstehe, sehe ich meine Rüstung, vorm Bett liegen, zwar sehr mitgenommen, aber noch tragbar. Ardo scheint sie eingesammelt zu haben. Ich stehe auf, wasche mich, kleide mich vollständig an und gehe gerüstet zu meinen Gefährten. Sie sehen besser aus. Die Nägel gestutzt, die Bärte gekürzt und gewaschen. Die Seite schmerzt noch immer, aber mir geht es ein wenig besser. Wenigstens scheint das Fieber nicht schlimmer geworden zu sein. Ragnar liest noch immer und ich schaue mir ein weiteres Buch an, welches Ardo mir entgegenstreckt. Liber Zhamorricam per Satinav lautet sein Titel. Ich kann es nicht lesen, doch erkenne ich manche Bedeutungen. Es scheint eine Art Leitfaden für Echsische Rituale zu sein, die etwas mit der Zeit zu tun haben.

Ragnar erzählt uns vom Tagebuch der Tsa-Geweihten. Sie wurde im Dorf freundlich aufgenommen, doch mit der Zeit überkam sie Langeweile, bis sie diesen Magus traf, Ben Seychaban, der ihr Echsenkunde ans Herz legte. Die Echsischen Rituale hat tatsächlich sie vollzogen. Ben Seychaban, bei dem Namen stutze ich. Woher kenne ich den Namen ? Plötzlich fällt es mir wie Schuppen von den Augen. Liskom von Fasar! Er nutzte diesen Namen in Selem. Langsam fügt sich das Puzzle zusammen. Wir haben keine Zeit zu verlieren. Draußen wütet der Zeitsturm immer mehr. Ardo bittet uns niederzuknien und er spricht ein inniges Gebet, welches wir wiederholen, zu Ehren Rondras und wir machen uns gerüstet auf zum Wehrturm.

Kaum dass wir dem Tempel verlassen, spüren wir das Ziehen des Sturms erneut an uns, alles schmerzt, mein Fieber und meine Wunde machen sich wieder stärker bemerkbar, doch eilen wir weiter zum Turm um das Böse aufzuhalten. Der Turm selbst ist schon stark geschliffen, der Aufbau ist am Bröckeln und wir kommen an eine verschlossene Stahltür. Kaldrim kann nach einigen Versuchen die Tür mit einem Dittrich öffnen, als wir von oben Steine fallen hören und schnell in den Turm hineinspringen ehe uns die Steine erschlagen.

Wir stehen in einem runden Raum an dessen Wand ein großes rot-schwarzes Banner hängt vor dem eine Ritterrüstung steht. Plötzlich beginnt sich die Rüstung zu bewegen und greift uns an, doch Ardo und Ragnar können ihr Einhalt gebieten. Von oben hören wir schlurfende Geräusche und als ein Skelett die Treppe herunter geschlurft kommt, wirft Kaldrim geistesgegenwärtig den abgefallenen Ritterstiefel nach dem Skelett und Ragnar gibt ihm mit der Axt den Rest. Ein weiteres wird von Ardo zertrümmert. Vor meinen Augen vergeht alles wie in Trance. Ich komme kaum dazu zu reagieren, sondern konzentriere mich darauf mich auf den Beinen zu halten. In der Mitte des Raumes ist eine Öffnung im Boden, doch da von oben weitere Geräusche zu hören sind, eilen alle weiter nach oben. Ich bewache die Öffnung, doch merke ich, dass ich zu schwach bin um es mit Gegnern, die von unten kommen könnten, alleine aufzunehmen und folge den anderen die Treppe hinauf.
In einem weiteren Raum finden wir ein aufgeschlagenes Buch, dass wohl die heutige Sternenkonstellation beschreibt, die perfekt für eine große Beschwörung sei, die bis zum Morgengrauen beendet sein muss. Wir haben keine Zeit zu verlieren, wenn wir die Beschwörung aufhalten wollen. Wir gelangen in einen weiteren Raum in der ein mechanisches Ding an der Wand hängt, dessen Zeiger nur so rasen. Ardo zerschlägt es kurzerhand und Kaldrim schlägt die Hände über dem Kopf zusammen. Dieses Ding war wohl sowas wie ein Zeitmesser und recht wertvoll. Auf dem Boden sehen wir drei Kreidelinien die sich kreuzen und an jeder Linie steht auf tulamidisch ein Wort: Satinavs Kette 1, Satinavs Kette 2 und Hexenband. Ich erinnere mich an die Erzählung über den Druiden, der das Hexenband wieder in Ordnung bringen wollte und durch Sulman scheiterte.
Ardo hetzt weiter die Treppen hoch und weicht gerade noch einen Armbrustbolzen aus, der ihm entgegenfliegt. Wir folgen ihm und sehen Sulman al Venish im Raum stehen, beschützt von zwei der KGIA Söldnern die Jahre gealtert zu sein scheinen. Eine alte Greisin versucht ihren Morgenstern zu schwingen, während der andere, ein Zwerg, seine Armbrust wegwirft und nach seiner Axt greift. Sulman selbst sieht alt aus, sein Gesicht gleicht einer Fratze und sein langes weißgraues Haar hängt ihm verfilzt über den Schultern. Er verhöhnt uns nur lächelnd, dass er wusste, dass wir kommen und Targonitoth wird sich unserer annehmen. Damit entbrennt der Kampf auf knarzenden Holzbohlen, die nicht mehr lange standhalten werden. Ardo tänzelt, nach sicherem Tritt suchend, über die Bohlen und erschlägt die Söldnerin, während Ragnar sich am Rand entlang Richtung Sulman begibt. Kaldrim stürzt sich ebenfalls in den Kampf und knöpft sich den Zwerg vor, während ich mir den Schweiß von der Stirn wische und erstmal abwarte. Plötzlich passiert das schon fast Unvermeidbare, der Boden kracht ein und Ardo, Kaldrim und der Zwerg stürzen in die Tiefe. Ragnar hatte am Rand Glück und liefert sich ein Magierduell mit Sulman. Ich stehe noch immer unschlüssig auf der Treppe, soll ich Ragnar helfen oder nach unten eilen? Plötzlich spricht Sulman ein paar Worte und verschwindet wieder einmal, doch erscheint er nicht weit über uns auf dem wackligen brüchigen Dach. Weiter haben ihn seine Kräfte wohl nicht mehr gebracht. Nachdem Ragnar ihm einen Feuerball entgegen schleudert, sehen wir ihn schreiend und brennend abstürzen.
Als wir nach unten kommen, haben Kaldrim und Ardo inzwischen den Zwerg erledigt und wir klettern in den Keller des Turms. Auf einem Tisch liegen zwei Reliqien, eine Hornechse und ein dreizehngehörnter Drachenschädel aus Elfenbein. Ein Teppich liegt auf dem Fußboden, doch keinerlei weiterer Ausgang ist zu sehen. Ich kann mich kaum noch auf den Beinen halten, doch Ragnar wirft mir ein kleines durchsichtiges Fläschchen zu, welches ich, den Göttern sei Dank, fange und trinke und merke wie mich neue Lebenskraft durchströmt. Ragnar untersucht den Boden unter dem Teppich und findet eine seltsame Glyphe, bei der sich herausstellt, dass es mehrere ineinander verschlungene Arkanglyphen sind, die auf Wahrnehmung und Schutz hindeuten. Als ich Ragnar auffordere sie zu zerstören, wird er plötzlich von einem heftigen Luftstoß durch den Raum geschleudert. Doch immerhin wird eine Treppe sichtbar. Wir kommen in einen weiteren Raum, in dem eine kupferbeschlagene Luke inmitten eines Heptagrammes im Boden ist. Das Heptagramm ist mit seltsamem Metall ausgegossen. Als Ardo zur Luke will und das Heptagramm dabei betritt, steigt beißender, nach Schwefel stinkender Qualm auf und ein Shruuf erscheint. Mit seinen vier Hörnern und fünf Tentakeln greift er Ardo an und schnell wird deutlich, dass nur Ragnars Stab und Ardos geweihter Rondrakamm hier etwas ausrichten können und Kaldrim und ich halten uns zurück.
Als der Dämon besiegt ist, öffnen wir die Luke und sehen eine rotleuchtende Sphäre die den Raum unter uns fast vollständig ausfüllt. In ihr erkennen wir ein schemenhaftes graues Wabern. Alle Versuche von Ardo die Sphäre zu durchbrechen scheitern und auch Ragnars Stab durchfährt nur ein starker Energieschub, der ihn sogar verletzt. Ardo holt seine Arkanitnägel heraus, die er damals eingesammelt hat bei den beherrschten Opfern von Sulman, und lässt einen auf die Sphäre fallen. Die Hülle blitzt heftig auf und der Nagel fällt seitlich herab, doch zeigte er mehr Wirkung als alles andere bisher. Ardo greift zu den anderen beiden Nägeln und wirft sie mit starker Wucht gegen die wabernde Hülle und wir gehen in Deckung. Die Kuppel bricht blitzend und rauchend in sich zusammen und plötzlich werden wir in einen Sog gezogen, der mich an den Strudel im Tempel der Khom erinnert. Wir fallen wieder ohne Zeit und Raum, doch erkennen wir in einiger Entfernung ab und an ein strahlendes Gebilde und Ragnar steuert darauf zu. Wir folgen ihm mit unseren Gedanken und wir gelangen auf eine Art durchsichtige Plattform mitten im Nebel.

Wir sehen vor uns einen riesigen dreizehngezackten Beschwörungskreis. An jedem Ende winden sich Gestalten und inmitten des Kreises kniet Liskom von Fasar wie eine Leuchtgestalt. Seine Arme sind nach oben gereckt und halten den Stern von Selem. Als wir näher kommen erkennen wir an den Zacken Menschen, die kurz vorm Sterben sich in unsäglichen Schmerzen winden, alle in Ketten gebunden, die Gesichter in Grauen und Entsetzen schmerzverzerrt entstellt. Ihre Haut ist pergamentartig schon am Aufreißen und kurzerhand schneide ich dem ersten Opfer die Kehle durch um es zu erlösen. Ragnar versucht ein Opfer wegzuzerren, doch sie lassen sich nicht bewegen und er folgt meinem Beispiel. Kaldrim und Ardo stürzen sich auf Liskom und unser Zwerg schlägt beherzt dem beschwörenden Magier die Hände ab. Dessen Hände fliegen durch den Raum und der Stern von Selem kullert davon. Doch es scheint das Ritual nicht aufzuhalten. Liskom richtet sich einfach wieder auf und erst als Ardo ihm den Schädel spaltet fällt er zur Seite und wir spüren eine mächtige Welle von Hass ehe er aufschlägt. Kaldrim kickt den Stein aus dem Beschwörerkreis, während Ragnar und ich ein Opfer nach dem anderen von seinen Qualen erlösen. Doch das Böse ist nicht mehr aufzuhalten. Ardo versucht den Stern von Selem zu zerschlagen, doch er ist unzerstörbar. Zum Glück ist seine göttliche Waffe das auch und sie schwingt nur heftig nach. Jede andere Waffe wäre daran zerbrochen. Die unheimliche Präsenz wird immer stärker. Als alle Opfer tot sind erschüttern uns plötzlich Urgewalten mit unsäglichen Schmerzen. Unser aller Leben läuft vor unserem inneren Auge ab, die letzten Jahre ziehen an uns vorüber und wir fallen in tiefe Bewusstlosigkeit.