Sonntag, 19. Juli 2015

Kuslik



Wir reiten meist schweigend gemächlich durch das liebliche Feld und ich genieße die Schönheit des Landes. Kaldrim hat mir nicht zuviel versprochen. Fruchtbares, leicht hügeliges Land, ähnlich wie in Aranien, doch hier weht stets der erfrischende Westwind der Westküste, der die Sommerhitze erträglicher erscheinen lässt. Große Felder erstrecken sich entlang des Yaquirs. Hin und wieder sieht mal kleine Wäldchen und die Vögel zwitschern laut in der Abenddämmerung.

Ein paar Tage später erreichen wir Kuslik, als die goldene Abendsonne gerade hinter der Stadt im Meer versinkt. Ein wahrhaft traumhafter Anblick. Doch ehe wir in die Stadt reiten, sticht Kaldrim plötzlich in meinen Schnapsvorrat und ehe ich loszetern kann, erklärt er mir, dass ich die nächsten Wochen meinen Gaumen anderweitig verwöhnen werde und nicht mit dem Fusel, den ich ständig zu mir nehme. Wir reiten in die Oberstadt und kommen in ein recht ansehnliches Handwerkerviertel. Als mich Kaldrim in das Haus seines Onkels Perborat führt, traue ich meinen Augen kaum. Die Novizin Serkia fällt Kaldrim um den Hals und auch der Zwerg mit dem Helm, dem Kaldrim stets sein Bier schenkte, ist anwesend. Es stellt sich heraus, dass Kaldrim die beiden vom Kloster weg zu seinem Onkel schickte in weiser Voraussicht. Die beiden können von Glück reden, dass sie auf ihn gehört haben und nicht wie all die anderen umkamen. Doch bin ich verärgert, dass Kaldrim uns das verschwieg. Nachdem Kaldrim mit Serkia turtelnd nach oben verschwindet, verbringe ich noch einen netten Abend mit Perborat und einem guten Tropfen Wein. Kaldrims Onkel ist ebenso charmant wie Kaldrim und ich muss ständig grinsen, vor solch blumiger Redensweisen. Ich bekomme ein kleines Gästezimmer mit einem wunderschönen Federbett und schlafe so gut wie schon lange nicht mehr.

Am nächsten Morgen ziehe ich meine, noch relativ sauberen, Sachen an. Sie sind zwar schon grau und verknittert, jedoch wenigstens nicht blutbesudelt und ich entschuldige mich bei Perborat dafür. Dieser macht Kaldrim den Vorwurf mich so rumlaufen zu lassen und schickt ihn mit mir zum Schneider. Nachdem Kaldrim mich dort absetzt, weil er selbst dringend zum Frisör muss, einige ich mich nach einer Weile mit Ciró und suche mir schlichte neue Sachen raus, die mich weniger als Tulamidin erscheinen lassen, jedoch trotzdem bequem und praktisch sind und aus enger Hose und weiter Bluse bestehen. Auf dem Heimweg suche ich einen Holzschnitzer auf und gebe einen Holzarm in Auftrag. Das brannte mir schon lange auf der Seele. Dieser verdammte Verlust meines Arms. Ich werde damit nicht kämpfen können, doch wenigstens sieht man dann nicht auf den ersten Blick meine Schwäche. Ardo meinte, wenn ich etwas in meinem Leben ändern will, so muss ich es schon selbst tun und damit wird es beginnen. Das Leben jetzt und hier genießen und aus allem das Beste machen. Wenn er auch nur mit Lederriemen gehalten wird, man wird nicht mehr nur die Einarmige sehen, egal ob auf der Strasse oder im Kampf, sondern man wird eine Kämpferin sehen, mit all ihrer Entschlossenheit und Selbstvertrauen.

Gegen Mittag begeben Serkia und ich uns ins Badehaus und verbringen einen lustigen Nachmittag unter Frauen. Ich lasse meine Tulamidenkleidung reinigen und erkläre Serkia die Ansicht der Aranier, die sichtlich überrascht ist nach meiner Ganzkörperrasur, doch habe ich sie damit auch neugierig gemacht und ich helfe ihr dabei sich ebenfalls die Haare zu entfernen. Sie ist ganz vernarrt in Kaldrim, doch ebenso möchte sie weiter in den Praiostempel und hadert mit sich. Sie erzählt mir, dass Kaldrim sein Schwert ihr zuliebe an die Wand hängen will, doch weiß sie ebenso gut wie ich, dass er das nicht wirklich kann. Verdammt der Zwerg bringt sich echt in Schwierigkeiten. Wie kann er ihr nur so etwas versprechen. Hat er noch immer nicht verstanden, dass unser Schicksal ein anderes ist? Ein Leben in Ruhe und Frieden kann er sich abschminken, wann wird er das endlich verstehen!?

Gegen Abend machen wir uns mit Kaldrim auf den Weg in die Stadt. Im Gegensatz zu sonst trägt er heute sein Florett. Die schlanke Waffe steckt in einem Ziergehänge und vervollständigt Kaldrims Aussehen mit breitkrempigem Hut und Stulpenhandschuhen. Hin und wieder trifft Kaldrim „Bekannte“ wie er sie nennt. Neben dem Magischem Theater der Visionen der Abenteuer bleiben wir stehen und Kaldrim lädt uns zur `Camera Obscura' ein , zu einem Wunderwerk von Bildern. Kurz darauf sitzen wir mit mehreren anderen in einem dunklen Raum. Die Luft ist voll von schwerem Parfum.
Geigen setzten ein, ein leichter Reigen sanfter Töne und wie durch Zauberhand erscheint auf einer vormals weißen Fläche im Raum ein hell erleuchtetes Bild welches eine Aue zeigt. Kurz danach verschwindet es und eine Blumenwiese ist zu sehen. Wahrlich zauberhaft wie die Bilder erscheinen. Immer wieder wechseln die Bilder und die Musiker spielen passend dazu…die Zeit scheint wie im Fluge zu vergehen. Das letzte Bild, eine brennende Al´Anfaner Trireme, untermalt mit Paukenschlägen, verklingt und wir verlassen den Saal.
Kaldrim fragt uns wie es uns gefallen hat, doch ehe wir antworten können, stockt Kaldrim kurz und fixiert einen Mann in sehr edler, schwarzer Brokat Gewandung. Auf der Brust des Mannes ist ein Wappen, dass mir bekannt vorkommt und Kaldrim entschuldigt sich und geht kurz zu ihm.

Kaldrim geht auf den Mann in Schwarz zu, zieht den Hut, geht auf ein Knie und senkt das Haupt. Der Mann in Schwarz ist überrascht was passiert und ist kurz überrumpelt. Nach einen kurzen Moment zieht er ihn auf die Beine. Die beiden unterhalten sich kurz, wohl froh sich zu sehen aber keineswegs glücklich.

Ich erkundige mich, wer der Mann ist, da ich das Wappen von Kaldrims Schwertknauf erkannt habe. Kaldrim bestätigt dies und erklärt, dass das Schwert die Waffe vom Sohn dieses Mannes ist. Als ich nachhake, kommt eine tragische Geschichte zum Vorschein, von der ich erst am nächsten Morgen alles erfahre.
Wir stehen zu dritt auf dem hiesigen Boronsanger, als Kaldrim anfängt zu erzählen, was damals geschah und weshalb er Kuslik verlassen hat.
Sein bester Freund Romano hatte sich unsterblich in ein Mädchen verliebt, obwohl ihm eine andere versprochen war, doch die beiden verliebten sich ineinander und hielten ihre Liebe geheim. Sogar heiraten wollten sie heimlich. Doch der Neffe des Mädchens kam ihnen auf die Schliche und erstach in seinem Eifer einen Freund von ihnen, der sich vor Romano warf. In der Hitze des Gefechts erstach dieser wiederum den Neffen und das Drama nahm seinen Lauf. Das Mädchen entsann einen Plan sich zu vergiften, was nach ihrem Tod aussehen sollte, doch Romano erfuhr zu spät davon und dachte sie wäre tatsächlich tot und vergiftete sich ebenfalls. In seinen letzten Augenblicken bemerkte er seinen Fehler, doch es war zu spät. In ihrer blinden Trauer stürzte sich das Mädchen in Romanos Schwert und starb ebenfalls. Kaldrim behielt das Schwert seines Freundes und verließ daraufhin die Stadt.

Als Kaldrim endet, steht er tränenüberströmt vor uns und ich ziehe ihn an meine Brust und tröste ihn, bis das Schluchzen nachlässt. So habe ich den kleinen Zwerg noch nie leiden sehen. Selbst mir steht das Wasser in den Augen, doch weiß ich nicht was ich schlimmer finde, das Drama der unglücklich Verliebten oder Kaldrims tiefe Trauer. Serkia steht neben uns und ihr Blick verrät einen Entschluss. Die seltsame Verbindung, die Kaldrim und mich betrifft, wird sie niemals mit ihm haben. Ich mache Kaldrim klar, dass er damit abschließen muss und er sich überlegen sollte, die Waffe zurückzulassen, damit er nicht ständig ein Teil dieser Vergangenheit mit sich herumträgt, so wie ich es einst tat.

Als ich eines abends spät nach Hause komme, sehe ich wie Kaldrim, nur mit einer weiten Hose bekleidet vorm Kaminfeuer sitzt und in einer fremden melodischen Sprache singt, die nicht ganz zu dem Zwerg passt. Der Falke auf seinem Rücken flattert vergnügt hin und her und ich warte still ab und beobachte das ungewohnte Bild. Als er fertig ist, dreht er sich überrascht um. Er hat mich nicht so früh erwartet. Er erzählt mir, dass er Serkia in den Tempel gebracht und sich von ihr verabschiedet hat. Irgendwie ist es faszinierend. Kaldrim sang eben noch in einer Sprache, die nicht so recht zu ihm passen will und doch steht er mit nacktem Oberkörper und dem spiegelnden Kaminfeuer in den Augen vor mir, wie es zwergischer nicht sein könnte. Sein Falke hat sich auf seiner Brust niedergelassen und starrt mich an und vorsichtig strecke ich meine Finger aus und streiche Kaldrim sanft über die Brust, über den Falken, der ganz ruhig sitzen bleibt. Ich lächle ihn an und sage schließlich, dass wir eine besondere Verbindung haben, wir alle vier, auch Ardo und Ragnar, für die ein Leben in Ruhe und Frieden nicht vorgesehen ist. Dann wünsche ich ihm eine Gute Nacht und gehe zu Bett.
Lächelnd starre ich an die Decke. Das war ein wirklich schöner Augenblick am Kamin. Wenn ich mir überlege, wie ich Kaldrim bisher kannte und was ich seit unserer gemeinsamen Zeit alles von ihm erfahren habe, sehe ich ihn in einem ganz anderen Licht. Er ist verletzlicher, als ich dachte, und es wundert mich nicht mehr, dass er so harmoniesüchtig ist, nach alldem. Doch es schlägt ein mutiges Herz in diesem kleinen Charmeur und lächelnd schließe ich die Augen.