Donnerstag, 16. Juli 2015

Wie alles begann

14. Praios 1007 BF

… eine Sonne steht am Himmel und sie heizt die Luft unerträglich auf. Meine Mutter, Shanya al Kira steht im Hof der Garnison von Zorgan, umringt von den Eisernen Tigern. Hier haben unzählige Kämpfer und Kämpferinnen unter Schweiß und Blut die Ehre erhalten, einer der Tiger zu werden, einer Eliteeinheit, dessen Ruhm weit über die Grenzen Araniens bekannt ist. Meine Mutter steht da, wie das Ebenbild einer Kriegsgöttin, gehüllt in einen prächtigen Harnisch, der Blick eisern und stark. Sie ist der Miralay der Eisernen Tiger, ihr Oberhaupt, eine Legende, die den Tod mehr als einmal ins Gesicht gelacht hat. Ihr Harnisch droht zu bersten. Sie droht zu bersten vor lauter Stolz, als sie mir zusieht, wie ich ein ums andere Mal meine Gegner im Training bezwinge.
Sie sieht sich selbst, als sie jung und ungestüm war und sie weiß dass ich eines Tages an ihrem Platz stehen werde. Wenn sie einst vergangen sein wird, werde ich ihr Erbe antreten. Sie verfolgt jede Bewegung meines geschmeidigen Körpers und sie muss ihren Stolz fast schon unterdrücken, denn ich soll nicht bevorzugt werden, ich soll mir meinen Platz erkämpfen wie einst sie es tat.
Ich habe meine Gegner besiegt. Ich blicke in die Augen meiner Mutter, ich sehe ihren Stolz und mein Körper erschauert vor Ehrfurcht und Liebe zu ihr. Diese Frau hat mich großgezogen. Sie hat mir alles gegeben was ich zum Leben brauchte. Die Liebe die ein Mädchen braucht, aber auch die Härte die eine Kriegerin formt. Mein Vater war früh gestorben. Saajd hatte er geheißen und es verging kein Tag, an dem meine Mutter mir nicht von seiner Schönheit und Anmut erzählte. Ihre Liebe war bis über den Tod so stark zu ihrem Gemahl gewesen, dass sie nie wieder einen anderen Mann in ihr Gemach ließ und fortan ihr ganzes Können, ihr ganzes Streben mir zukommen ließ. Wir blicken uns an, Mutter und Tochter vereint und ich kann es kaum abwarten mit ihr in den Kampf zu ziehen. Ich will ihr zeigen das ich bereit bin, bereit um den Feinden den Tod zu bringen und sie zu Ehren.
Da wird das Tor aufgestoßen. Staub und Lärm der Straßen von Zorgan dringen störend herein und ein Trupp Gardisten marschiert in den Hof. Ihre Schritte hallen von den Wänden des Hofes wieder und sie sind schwer bewaffnet. An der Spitze dieses Trupps gehen zwei Frauen, von denen ich nur eine kenne. Ishar saba Karimah, eine Frau, die ich schon gesehen habe. Sie ist meiner Mutter unterstellt, aber ich weiß, dass sie nach mehr strebt. Nach mehr Macht und Ruhm, aber meine Mutter war zu stark für ihr Bestreben sie zu verdrängen.
Die andere kenne ich nicht, aber mir wird flau im Magen, als ich erkenne, dass es eine Magierin ist. Eine Zauberkünstlerin, wie ich sie noch nie gesehen habe. Gehüllt in eine schwarze Kutte, die ihren Körper nur erahnen lässt, das Gesicht schmal und knochig blickt sie ausdruckslos in Richtung meiner Mutter. Ich fürchte mich vor niemanden, doch solch eine Frau erfüllt mich mit Angst. Welche Macht mag in dieser Gestalt innewohnen.
Wir werden umringt und Ishar geht zu meiner Mutter die keinen Schritt weicht und mit misstrauischem Blick auf das wartet was kommen mag. Ishar blickt sie triumphierend an, dann dreht sie sich um und blickt in die Wartenden. Als sie ihren Mund öffnet erfüllen Worte den Raum, die mit solcher Befriedigung gesprochen werden, dass es kaum zu ertragen ist:
„Shanya al kira! Ihr seid hiermit verhaftet wegen Hochverrat am Aranischen Reich! Ihr werdet umgehend fort gebracht um dort von ihrer Erhabenheit Mondsilbersultana Sybia von Zorgan selbst gerichtet zu werden. Mögen die Götter euch beistehen.“
Meine Mutter wirkt gelassen. Sie hat den Blick gesenkt, die Augen sind verschlossen. Ohne ein Zittern in ihrer Stimme, ohne den leisesten Ton der Unruhe spricht sie ihre Worte:
„Ishar saba Karimah, ich weiß nicht welche niederhöllischen Dinge ihr ausheckt, aber im meinem ganzen Leben habe ich noch nie jemanden verraten nicht mal euch, ihr schleimiger Abschaum aus den tiefsten Gefilden der Niederhöllen.“
Die letzten Worte spricht meine Mutter mit so viel Gift in der Stimme, dass ich zusammenzucke. Ich beobachtet sie. Shanya wirkt ruhig, aber ihre Muskeln sind gespannt, wie ein Jaguar kurz vor dem Sprung. Ich erkenne, dass sie bereit ist, bereit sich nicht wie ein gefangenes Tier abführen zu lassen um ihre letzten Tage in Scham zu verbringen.
Die Magierin tritt hervor. Nur ihre Bewegungen strömen schon die Macht aus, die von ihr ausgeht, die Luft scheint zu knistern und der Lärm der Straße ist nur noch ein dumpfes Geräusch weit entfernt von diesem Geschehen. Die Stimme der Maga klingt mehr als das Zischen einer Schlange, als das eines Menschen:
„Mein Name ist Zechiban al Fessir, Maga und mächtige der altehrwürdigen Akademie der geistigen Kraft zu Fasar. Ihr werdet euch fügen, denn es gibt unumstößliche Beweise für euer Vergehen.“
Sie blickt zu einer Wache und nickt. Diese geht hinaus und die Spannung während des Wartens steigt ins Unerträgliche. Die Wache schleift einen Mann in den Hof. Er trägt eine Kette um den Hals und einen Fetzen Stoff um die Lende. Sein Körper ist geschunden von brutalen Schlägen, seine Knochen sind gebrochen und sein Gesicht geschwollen so dass man kaum erkennen kann, wer dieser Mann eigentlich ist.
Der Mann wird der Maga vor die Füße geworfen wo er im Staub liegen bleibt. „Steh auf du Wurm oder soll ich dir Beine machen.“, sagt Zechiban mit maßloser Verachtung in ihrer Stimme, “Ist das die Frau die ihr als Spion des Sultans Hasrabal treffen sollt, um für Unruhen im Land zu sorgen?“
Der Geschundene erhebt sich unter Mühen und droht immer wieder zu fallen. Als er steht blickt er in die Richtung meiner Mutter. Sie glaubt, dass er kaum etwas erkennen kann mit seinen zugeschwollenen Augen, doch er nickt und leise, fast flüsternd antwortet er:
„Ja … das ist sie. Diese Frau will euch verraten und das Reich Hasrabals zu einem Sieg über Gorien und Aranien bringen, damit er seine Macht mehrt und sich zum Herrscher aufschwingt über das ganze Tulamidenland. Sie ist gewillt, das ganze Land ins Chaos zu stürzen um Hasrabal zu folgen.“
Die Worte wiegen schwer im Raum und eine erstickende Stille legt sich über alles und jeden. Ich starre meine Mutter an die immer noch scheinbar ruhig da steht und zu Boden blickt. Verrat denkt sie. Verrat an ihr und an alles was sie glaubt. Sie hebt den Kopf, blickt in meine Richtung und ihre Augen erschrecken mich einen Moment. Sie wird nicht gehen, sie wird sich nicht abführen lassen, das sehe ich genau. Mein Herz schlägt mir bis zum Hals, als ich ihre Muskeln sehe, die kurz davor sind zu explodieren. Ich sehe ihr an, dass Worte hier nicht mehr helfen und ich treffe eine Entscheidung. Ich träumte davon mit ihr in der Schlacht Seite an Seite zu kämpfen und nun war der Moment gekommen. Ich sehe ihr an, dass sie mit dem Tod abgeschlossen hat, dass es keinen Weg mehr gibt, der hinaus führt. Ich werde ruhiger, die Welt liegt klar vor mir und ich analysiere. Ich schätze die Gegner ab, ihre Positionen und wo meine Mutter nach dem ersten Angriff sein wird. Meine Ausbildung lässt mich kalt eine Strategie festlegen und ich weiß genau, wo ich zuerst ansetzen muss, um diesen Kampf überhaupt gewinnen zu können.
Meine Mutter sieht mir immer noch in die Augen. Sie erkennt, dass ich sie begleiten werde bis zum letzten Atemzug und sie richtet sich ein wenig auf. Ihre Tochter … ihr ganzer Stolz.
„Nun was sagt ihr Shanya al kira?“, spricht Ishar voller Hohn.
Ein Moment der Ruhe …
„Was ich sage ?“, spricht meine Mutter mit ruhiger Stimme.
„FAHRT ZUR HÖLLE !“
Dann geht alles sehr schnell. Der Speer meiner Mutter schnellt nach vorne, aber Ishar hat mit dieser Reaktion gerechnet und ihren Schild nur knapp vor dem tödlichen Stoß erheben können. Und doch gleitet ihr Speer am Gesicht Ishars vorbei und zeichnet ihr eine tiefe Wunde auf die Wange die sie ein Leben lang an meine Mutter erinnern wird. Es wird laut, die Wachen, geblendet von dem Verrat an meiner Mutter, stürmen auf sie los. Die Schüler und Schülerinnen stehen fassungslos im Hof, unfähig eine Reaktion zu zeigen. Die Maga erhebt ihre Arme, murmelt Worte der Macht und ich stürme los. Sie wird mein erster Punkt sein wo ich meinen tödlichen Stoß setzen werde. Die Maga beachtet mich nicht, sie ist ganz auf meine Mutter fixiert. Eine Wache stellt sich mir in den Weg, doch mit einer Drehung umgehe ich den Gegner geschmeidig wie eine Katze. Ich habe nur die Maga als Ziel, etwas anderes nehme ich nicht war. Ein zweiter Gegner versucht mich aufzuhalten, doch ich tauche unter seinem Speerstoß weg und steche ihm meinen Dolch direkt in seinen Hals. Als er röchelnd zu Boden geht, bin ich schon weiter, nah dran um meinen Angriff zu beginnen. Aber es werden immer mehr, die Wachen haben mein Ziel erkannt und versuchen nun mich aufzuhalten. Die Maga ist mit ihrem Zauber fast fertig, schon zucken Flammen aus ihren Fingern und da springe ich. Es ist ein hoher Sprung, doch ich kann die Maga so nicht erreichen. Da werfe ich meinen Khunchomer kräftig, voller Zorn und Hass auf diese Frau. Als er meine Hand verlässt stürze ich zu Boden. Der Khunchomer durchteilt sirrend die Luft. Die Maga bemerkt es. Wie in Zeitlupe dreht sie sich um, ihr Zauber ist gestört. Die Flammen an ihren Händen vergehen. Als sie den Kopf in meine Richtung gedreht hat, erkenne ich ihre Überraschung auf ihrem Gesicht. Dann dringt der Khunchomer in ihr Gesicht ein, Blut spritzt als er das knochige Antlitz durchschneidet und die Maga zusammenbricht. Dann werde ich von den Wachen zu Boden gerissen. Ich werde empor gezerrt, unfähig mich zu bewegen. Ich wehre mich und versuche in Richtung meiner Mutter zu blicken.
Shanya kniet. Um sie herum liegen viele Tote, die ihren Angriff mit dem Leben bezahlt haben, doch ein Speer steckt in ihrem Bauch und aus ihrem Mund fließt Blut. Wir blicken uns an … ein letztes Mal. Hinter meiner Mutter steht, mit blutig, vor Hohn verzerrtem Gesicht Ishar, einen gewaltigen Khunchomer in der Hand. Meine Mutter lächelt mir zu und ihr Mund formt ihre letzten Worte die ich zwar nicht hören kann, die ich aber spüre:
„Ich liebe dich!“
Dann fährt der Khunchomer nieder und trennt den Kopf vom Körper meiner Mutter. Ich schreie auf, dann wird mir schwarz vor Augen und eine tiefe Dunkelheit umgibt meinen Geist.